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Methoden für die Arbeit mit heterogenen Gruppen

In den letzten Jahren wurde sich in der FÖJ-Zentralstelle viel damit auseinandergesetzt, welche Methoden für die Seminararbeit mit heterogenen Gruppen passend sind. Es wurde daran gearbeitet, wie die Persönlichkeitsentwicklung von allen Freiwilligen unterstützt und wie das Thema gesellschaftliche Vielfalt in den Bildungsseminaren des Ökologischen Jahres gut eingebettet werden kann. Einige Ergebnisse wollen wir hier präsentieren und für andere Menschen aus der Bildungsarbeit zur Verfügung stellen.

Methode 1: Partizipative Themenfindung für die Bildungsseminare

Mitmischen!

Die aktive Vorbereitung und Mitgestaltung der Seminare durch die Freiwilligen ist im FÖJ ein wichtiger Bestandteil des pädagogischen Konzeptes. Im Seminar erfahren die jungen Menschen teilweise zum ersten Mal, wie es sich anfühlt, wenn ihre Meinung wirklich gefragt ist und sie die Seminarinhalte auf ihre eigene Art mitgestalten dürfen. Hierbei geht es nicht darum, ein ‘perfektes’ Seminar abzuliefern. Wir denken prozesshaft und sehen den gesamten Gestaltungsprozess als das Produkt. Wichtig ist es uns, dass die Freiwilligen Selbstwirksamkeit erfahren und begreifen, dass sie ihre Handlungsoptionen selbst in die Hand nehmen können. Dies entspricht der Inklusionsorientierung des FÖJs.

Konkret setzen wir diesen partizipativen Gedanken im Einführungsseminar um, wenn es darum geht, gemeinsam mit der Gruppe die Themen und Inhalte für die kommenden vier Bildungsseminare festzulegen. Ein Tag des Seminars wird komplett dafür verwendet und in einem kreativen Gruppenprozess werden die Themen des Seminars erarbeitet. Hierbei gibt es kein Standardkonzept für alle Gruppen, sondern jedes Seminarteam arbeitet mit einem leicht abgewandelten Ablauf.

Methode 2: Lerntypentest

Alle lernen anders!

Viele der jungen Menschen kommen direkt aus der Schule in den Freiwilligendienst und sind der Meinung, dass man nur dann etwas lernt, wenn man es bespricht, aufschreibt oder liest. Im Laufe des Einführungsseminars versuchen wir den Jugendlichen zu vermitteln, dass es im FÖJ nicht darum geht, etwas gut auswendig lernen oder logische Zusammenhänge verstehen zu können. Sondern dass es viele unterschiedliche Arten von Kompetenzen gibt und Menschen unterschiedlich lernen. Dazu führen wir mit unseren Gruppen unter anderem einen simplen Lerntypentest durch.

In einem ersten Schritt halten wir einen kurzen Input über die 4 Lerntypen: Auditiv, Visuell, Motorisch und Kommunikativ. Dabei werden die Freiwilligen in die Erarbeitung der Merkmale der Lerntypen einbezogen.
Im zweiten Schritt füllt dann jede Person in Einzelarbeit einen Fragebogen aus und findet heraus, welcher Lerntyp er*sie ist. Unser Beispiel für einen Lerntypentest kann hier heruntergeladen werden.
In einem dritten Schritt wird dann mit Seilen ein Koordinatenkreuz im Seminarraum ausgelegt, in dem jeder Quadrant einen Lerntyp darstellt. Die Freiwilligen sollen sich nun alle gemeinsam in diesem Kreuz aufstellen, um zu sehen, welche Lerntypen in der Gruppe am häufigsten vertreten sind. Dazu positioniert sich jede Person zuerst in dem Quadranten mit der höchsten Prozentzahl. Danach soll jede Person mit jeweils einem Bein in den beiden Quadranten mit den zwei höchsten Prozentzahlen stehen.
Die Ergebnisse werden fotografiert/abgezeichnet, damit später im Verlauf des Bildungsjahres immer wieder darauf verwiesen werden kann. Besonders wenn die Freiwilligen ihre eigenen Seminarinhalte gestalten und passende Methoden zur Vermittlung von Inhalten wählen sollen.

Methode 3: Persönlichkeitsentwicklung

Individuell begleiten!

In einem zweitägigen Workshop im Januar 2019 tauschte sich unser Team aus Fachberater*innen und Honorarkräften zum Thema “Methoden zur Persönlichkeitsentwicklung” aus. Ziel des Workshops war es, unser kollektives Wissen zusammen zu tragen und einen guten Überblick darüber zu erhalten, mit welchen Elementen wir die Freiwilligen im Verlaufe des Bildungsjahres in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen können. Da wir die Freiwilligen über den Verlauf eines Jahres mit fünf Seminaren begleiten, ließen sich für jedes Seminar im Jahresverlauf spezifische Methoden finden. Eine kleine Auswahl an Methoden stellen wir hier zur Verfügung.

 

Eine Erkenntnis des Workshops war auch hier wieder einmal, dass sich kein komplett fertiges Konzept für die Begleitung der Persönlichkeitsentwicklung in den Seminaren finden lässt. Wenn man die Freiwilligen in ihrer Individualität ernst nehmen und fördern möchte, braucht es immer wieder ein Anpassen der Methoden an die Bedarfe und Ressourcen der Teilnehmenden. Dazu kann man beispielsweise auch verschiedene Angebote parallel laufen lassen: Während die einen gerade damit beschäftigt sind, wie sie einen geeigneten Ausbildungsplatz finden, fragen die Anderen sich, was sie persönlich gegen Umweltzerstörung oder Klimawandel tun können. Beides hat seine Berechtigung und sollte Platz erhalten. Arbeiten mit heterogenen Gruppen bedeutet nicht, immer ein Angebot finden zu müssen, das zu allen passt.

Insgesamt zeigte sich, dass in unseren FÖJ-Seminaren meist nur einer von fünf Tagen für die Themen der persönlichen Orientierung und Reflexion zur Verfügung steht, da die Freiwilligen einen Großteil des Seminars selber gestalten. Um den jungen Menschen noch mehr Möglichkeiten zu persönlicher Entwicklung zu geben, wurden im Rahmen des Projektes “FÖJ für ALLE” die Zusatzseminare eingerichtet.

Methode 4: Diversity-Training

Alle anders, alle gleich!

Das Thema Gerechtigkeit findet sich in den Bildungsseminaren des FÖJs vor allem in Bezug auf die ökologische Dimension wieder: So wird beispielsweise thematisiert, warum es gerecht wäre, wenn Menschen, die im Globalen Norden leben, den eigenen Konsum einschränken und bei der Wahl von Produkten darauf achten, dass Ressourcen geschont und Menschen fair behandelt werden. Dass es allerdings auch im täglichen Miteinander in unserer Gesellschaft viel um Fragen der Gerechtigkeit geht, wird in klassischen FÖJ-Seminaren wenig thematisiert. Da wir dies allerdings als sehr relevant empfinden, haben wir einen Thementag namens “Alle anders, alle gleich” entwickelt. Dieser wurde in mehreren Seminaren getestet und mit Hilfe von Feedback durch Freiwillige und Teamer*innen mehrmals verändert und angepasst. Wir freuen uns, das Resultat nun hier zur Verfügung stellen zu können.

Der Thementag hat ganz generell das Ziel, dass sich die Freiwilligen grundlegend mit dem Wert gesellschaftlicher Vielfalt und mit (Anti-)Diskriminierung beschäftigen.

  • Mit der klassischen Übung “Ein Schritt nach vorn” sollen sie für die ungleiche Chancenverteilung in der Gesellschaft sensibilisiert werden und sich in die realen Lebensbedingungen von minorisierten Gruppen einfühlen können.
  • Durch einen interaktiven Input sollen sie verstehen, wie Vorurteile entstehen und sich mit gesellschaftlichen Mechanismen von Ausgrenzung und Diskriminierung auseinandersetzen.
  • Die Methode “Identitätsmolekül” bringt das Thema auf eine persönliche Ebene: Die Freiwilligen sollen die eigenen verschiedenen Zugehörigkeiten entdecken und am eigenen Beispiel erfahren, wie unterschiedliche Zugehörigkeiten / Machtverhältnisse zu Ausschluss und Diskriminierung führen können. Mit theaterpädagogischen Übungen und Raum für gegenseitige Wertschätzung wird dieser sensible Moment der Selbstoffenbarung eingerahmt.
  • Zum Abschluss des Tages werden anhand von eigenen Beispielen aus dem Alltag der Freiwilligen Handlungsoptionen entwickelt und Lösungsansätze aufgezeigt, wie mit Ausschluss und Diskriminierung, sowie unterschiedlichen Machtverhältnissen konstruktiv umgegangen werden kann.

 

Methode 5: Umgang mit Diskriminierungserfahrungen

Wie gehe ich mit Diskriminierungserfahrungen um?

Wer mit heterogenen Gruppen arbeitet, wird sich früher oder später auch damit auseinandersetzen müssen, dass es zu schwierigen Situationen in Bezug auf Diskriminierung kommen kann. Gerade Menschen, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören bzw. in bestimmten Dingen nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, machen in ihrem Leben immer wieder Diskriminierungserfahrungen. In den Bildungsseminaren im Freiwilligendienst kann dies zum einen unter den Teilnehmenden selber passieren. Zum anderen kann es sein, dass die Teilnehmenden negative Erfahrungen mitbringen und diese sich auf die Gruppendynamik auswirken. Nicht zuletzt kann es natürlich auch passieren, dass wir als pädagogische Begleitende uns (unbewusst) ausgrenzend oder verletzend verhalten.
Eine pädagogische Anti-Diskriminierungsarbeit sollte dementsprechend darauf hinwirken, dass die Teilnehmenden keine weiteren negativen Erfahrungen im Seminar machen müssen, dass Diskriminierung als gesellschaftliches Problem thematisiert und Raum für persönliche Betroffenheit geschaffen wird.

Sehr hilfreich für den pädagogischen Alltag finden wir dafür die folgende Checkliste.

Um die eigene Haltung zu reflektieren, empfehlen wir den Selbsttest: Wie diversitätsbewusst bin ich?

Checkliste zum Pädagogischen Umgang mit Diskriminierungserfahrungen in Gruppen

Zuhören und Räume schaffen

  • Zuhören
  • Ernstnehmen und Anerkennen von erlebter Diskriminierung
  • Achtsamkeit und Sensibilität
  • Räume schaffen
  • in denen Zeit zum Zuhören besteht
  • die auf Vertrauen basieren
  • die ein Schutzraum für die Jugendlichen sind – d. h. die weitgehend diskriminierungsfrei sind


Haltung

  • Parteiliche Haltung
  • Haltung des Intervenierens statt des Schweigens bei diskriminierenden Situationen
  • Die Jugendlichen in ihren vielfältigen Identitäten und Bezügen wahrnehmen
  • Eigene Reproduktion von Diskriminierung vermeiden


Inhalte

  • Angebote bei denen die Jugendlichen im Mittelpunkt stehen
  • Angebote mit denen die Jugendlichen ihre Erfahrungen bearbeiten und/oder verarbeiten (z. B. durch Kunst einen Ausdruck/Stimme finden)
  • Angebote unterschiedlicher ‚Role Models‘/Vorbilder
  • Materialien nutzen, die die Perspektive der betroffenen Jugendlichen sichtbar machen
  • Wissen um Diskriminierung und dessen Funktionen vermitteln
  • Jugendliche entscheiden über die Angebote und die Themen mit


Empowerment

  • Angebote machen, um Jugendliche in ihrer Selbstwirksamkeit und Selbstbemächtigung zu stärken
  • Keine schnellen Lösungen anbieten, sondern Möglichkeiten des Umgangs mit Diskriminierung gemeinsam erarbeiten und die Jugendlichen in ihrem Weg stärken
  • Austausch der Jugendlichen über ihre Diskriminierungserfahrungen – Stärkung und Solidarität


Struktur/Organisation

  • Heterogenität der pädagogischen Fachkräfte
  • Schulung und Weiterbildung zu unterschiedlichen Diskriminierungsformen
  • Reflexion der eigenen Positionierung und der eigenen pädagogischen Praxis innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen
  • Prozesshaftes Lernen und Fehlerfreundlichkeit – Ambivalenzen und Widersprüche aushalten lernen
  • Öffentliches Positionieren der organisierenden Einrichtungen gegen unterschiedliche Diskriminierungsformen
  • Parteiliches Einsetzen der organisierenden Einrichtungen bei diskriminierenden Vorfällen


Angelehnt an die „Checkliste Pädagogischer Umgang mit Rassismuserfahrungen in Gruppenzusammenhängen“ (Demokratiezentrum Baden-Württemberg (2016), S. 70)

Methode 6: Methoden-Recycling

Kleine Änderungen machen den Unterschied!

Auf eine gute Idee brachte uns das “Praxishandbuch Juleica-Ausbildung in Berlin“, welches in Kapitel 13 „Vorurteilsbewusstes Miteinander in Gruppen – Anregungen zur Inklusion“ dazu anregt, die eigenen Lieblingsmethoden zu ‘recyceln’ und dadurch inklusiver zu machen. Denn die Arbeit mit heterogenen Gruppen bedeutet nicht, dass alles komplizierter werden muss. Vielmehr geht es darum, flexibel mit den Bedürfnissen und Ressourcen der Freiwilligen umzugehen.

“Das Recycling erfolgt meist durch Hinzufügen von neuen Rollen, die Anpassung der Aufgabenstellung oder die Veränderung der Regeln.”

So kann man sich beispielsweise fragen, wie eine Übung inklusiv für eine Person gestaltet werden kann, die…
...bewegungseingeschränkt ist.
...blind / farbenblind ist.
...gehörlos ist.
...nicht (lange) ruhig sitzen und aufmerksam zuhören kann.
...nicht (oder nicht sicher) lesen und schreiben kann.
...nicht (ausreichend) in der Seminarsprache kommunizieren kann.

Barrieren zu erkennen, braucht dabei etwas Übung und vor allem Einfühlungsvermögen in die jeweiligen Lebensrealitäten der jungen Menschen. Am besten bekommt man dies, indem man den jungen Menschen offen und interessiert begegnet und die eigene Scheu vor ‘Andersartigkeit’ hinterfragt.

Konkret angewöhnen kann man sich, vor jeder Übung bzw. nach der Erklärung eines Spiels, die Frage zu stellen, ob alle die Erklärung verstanden haben und ob alle meinen, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Fähigkeiten an der Übung/dem Spiel teilnehmen können. Dabei ist es wichtig, in der eigenen Haltung nicht zu denken, dass Teilnehmende etwas nicht können, sondern dass man im Zweifelsfall die Übung noch nicht gut genug erklärt hat oder diese nicht passend ist.